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Autor | Mitteilung |
Prokovjev Stammgast Beiträge: 73 | Gesendet: 13:29 - 30.07.2003 Der Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann zum Abriss des "Ahornblatts" und zur aktuellen Denkmalschutz-Debatte Das von der grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer in Auftrag gegebene Gutachten zur Entstaatlichung des Denkmalschutzes sorgt für Streit. In Berlin erhält die Debatte zusätzliche Nahrung durch den jüngst begonnenen Abriss des "Ahornblatts" im ehemaligen Ostteil der Stadt, einer bemerkenswerten Spannbeton-Konstruktion aus den frühen 70-er Jahren. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Berliner Senatsbaudirektor. Mit Hans Stimmann sprach Rainer Haubrich. DIE WELT: Das von Ihnen entwickelte "Planwerk Innenstadt" zur städtebaulichen Verdichtung des Berliner Zentrums ist ein Konzept, das unter anderem mit dem Argument warb, dass es keine Abrisse vorsieht. Jetzt wird das "Ahornblatt" auf der Fischerinsel abgerissen - und das Schimmelpfenghaus am Breitscheidtplatz und weite Teile des Alexanderplatzes werden folgen. Hans Stimmann: Das sind drei Abrisse, die gar nicht oder nur indirekt mit dem "Planwerk" in Verbindung stehen: Das Schimmelpfenghaus und das "Ahornblatt" sollten laut "Planwerk" stehen bleiben, und die Neubebauung des Alexanderplatzes war schon vor dem "Planwerk" beschlossene Sache. Der Vorwurf, dass das "Planwerk" beziehungsweise die "Kritische Rekonstruktion" die Verursacher von Abrissen seien, ist falsch. Und ich fühle mich persönlich betroffen, weil ich mit dem Thema der Stadterhaltung fachlich und politisch sozialisiert worden bin und dies seit Anfang der 70-er Jahre betreibe. Wir haben seit der Wende ausdrücklich mit der Berliner Abriss-Tradition gebrochen. Städtebau ist Erinnerung. Denken Sie an unseren Biennale-Beitrag für Venedig. DIE WELT: Aber das "Ahornblatt" wird in diesen Tagen verschwinden. Stimmann: Das "Ahornblatt" ist wirklich ein Spezialfall, und die Kritiker täten gut daran, sich noch einmal an die Vorgeschichte zu erinnern. Als wir 1996/97 die ersten "Planwerk"-Vorschläge zur Nachverdichtung der Fischerinsel vorgestellt haben, brach eine heftige Debatte um den Fischerkiez als angebliche Ikone der DDR-Moderne los - dabei war die Hochhausbebauung im Herzen von Cölln ein Verbrechen gegen die Identität der Stadt: Die Hälfte der historischen Bebauung hatte den Zweiten Weltkrieg überlebt und wurde Ende der 60-er Jahre gegen den Protest von Denkmalpflegern vom Ost-Berliner Magistrat abgerissen, unter anderem für das "Ahornblatt". Gleichwohl haben wir in unserem Planwerk ganz bewusst das "Ahornblatt" und die Hochhäuser erhalten und versucht, sie in eine neue Wohnbebauung zu integrieren. In dieser Phase einer offenen Diskussion über dieses Konzept hat die damalige Baustadträtin des Bezirks Mitte gegen unser ausdrückliches Votum ein reines Bürohochhaus neben dem "Ahornblatt" genehmigt. Das war im März 1999. Sie wollte dem Senat ein Schnippchen schlagen, indem sie Tatsachen schafft - gegen Recht und Gesetz. Denn hier sieht der Flächennutzungsplan Wohnen vor. Dieser positive Bauvorbescheid schuf wirtschaftliche Fakten zwischen dem Grundstücksverkäufer - der Oberfinanzdirektion - und dem Käufer. Diese Fakten konnte der Senat nicht vollständig rückgängig machen, sondern nur planerisch modifizieren - denn ein Bürohochhaus war an diesem Standort gar nicht genehmigungsfähig. Auch ich bin mit dem faulen Kompromiss, der jetzt gebaut wird, alles andere als zufrieden. Aber dafür gibt es mehrere Verantwortliche: die Baustadträtin, die deswegen von ihrer Partei abgewählt wurde, der Architekt, der es hätte besser wissen müssen, die Bauherren, aber auch die diversen Kritiker des "Planwerks", die den ideologischen Boden bereitet haben. Immerhin wird durch die künftige Bebauung ein erster Schritt zur Herstellung eines Straßen- und Platzraumes in diesem Bereich getan. DIE WELT: Sind Gebäude der Nachkriegsmoderne weniger schutzwürdig? Stimmann: Nein, im Prinzip nicht. Die Berliner Denkmalliste enthält etwa 300 solcher Gebäude aus den 60-er und 70-er Jahren, darunter etwa 110 allein im ehemaligen Ost-Berlin. Aber wir erleben eine schleichende Veränderung des Denkmalbegriffs. Bei allem Respekt vor vielen Gebäuden der Moderne: Nach den klassischen Kategorien der Kunstwissenschaft wären viele keine Denkmale. Im Extremfall sind sie einfach nur Dokumente einer bestimmten Zeit. Sie haben damit einen Erinnerungswert an frühere Zeiten ohne Sinn für Schönheit, Proportionen oder Qualität. Denken Sie an die Serie der typisierten Gesamtschulen, an die Großsiedlungen in Ost und West, die Opernbebauung in West-Berlin oder die Rathausstraße in Mitte. Niemand fordert den Abriss solcher Gebäude, aber man kann nicht den gesamten Bestand der Nachkriegsmoderne unter Denkmalschutz stellen. Die Verantwortung für die Erhaltung solcher Gebäude liegt bei den Eigentümern, bei den Architekten. Ein weiterer staatlicher Schutz bürdet dem Staat neue Lasten auf, wo er die Alten schon nicht mehr tragen kann. Und bürgerschaftliches Engagement für hässliche Gebäude kann im Ernst niemand einfordern. Das gilt für West wie Ost - und übrigens auch für etliche der jüngst entstandenen Gebäude, weil sie einfach schlechte Architektur sind. Städte verändern sich. Was wäre das für eine Gesellschaft, in der jedes mediokre Bürohaus, jede daneben gegangene Siedlung, wie die Gropiusstadt, Marzahn oder auch die Fischerinsel, den besonderen Status eines Baudenkmals erhielte? DIE WELT: Es gibt bis heute Stimmen, die in den offenen Räumen des Städtebaus der Moderne Qualitäten erkennen. Stimmann: Das sagen doch nur Architekturkritiker und Feuilletonisten, aus einem ideologischen Blickwinkel. Beispiele dafür gibt es - beispielsweise das Hansa-Viertel. Aber sie sind die Ausnahme. Die Verteidiger dieser Strukturen kann ich - außer wenn sie Bewohner sind - nicht ernst nehmen. Wenn die Architekturkritiker in der Gropiusstadt oder auf der Fischerinsel wohnen müssten, würden sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Da ist viel Zynismus im Spiel, intellektuelle Überheblichkeit von Leuten, die schon immer genau wussten, was zum Beispiel gut ist für die Arbeiter. Die Abstimmung über viele Wohnsiedlungen und Bürogebäude der Nachkriegsmoderne findet übrigens mit den Füßen statt und nicht in den Feuilletons. DIE WELT: Aber die Bewertung von Architektur kann sich ändern. Stimmann: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man erst mit einigem Abstand bestimmte Qualitäten erkennt und schätzen lernt. Das gilt etwa für viele der hocheleganten 50-er-Jahre-Gebäude. Aber vergleichen Sie die mal mit den plumpen, brutalistischen Gebäuden der späten 60-er und frühen 70-er Jahre: Großsiedlungen, Gesamtschulen, plumpe Bürogebäude an Schnellstraßen statt Alleen - das war der Tiefpunkt. Denken Sie an Teile der Bundesallee, Kurfürstenstraße oder Lietzenburger Straße. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dies in 20 Jahren ganz anders sehen wird. DIE WELT: Was muss sich in der Denkmalpflege ändern? Stimmann: Die aktuelle Diskussion um die Zukunft des Denkmalschutzes ist Teil der Entstaatlichungsdebatte. Und dieser Ansatz ist richtig. Die Vorstellung, dass der Staat als Gouvernante mit den Mitteln des Denkmalschutzes dafür sorgen soll, dass Stadt erhalten bleibt, ist nicht mehr zeitgemäß, überfordert den Denkmalschutz. Notwendig ist der Einsatz stadtplanerischer Mittel - etwa die Erhaltungssatzung - und eine offene Debatte über Qualität. Selbst ein geschütztes Gebäude ist dann nicht zu retten, wenn es nicht gelingt, den Wert des Gebäudes einer breiten Bürgerschaft zu vermitteln. Die in Berlin erst wieder entstehende Stadtgesellschaft, besonders die Bauherren und ihre Architekten, müssen hier in die Pflicht genommen werden. Wir brauchen einen breiten Konsens, eine Kultur des Bewahrens, die auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Dies geht weit über den Denkmalschutz hinaus. Die Denkmalpflege kann dabei Aufklärung leisten, die Augen öffnen für Qualitäten und Erinnerung. So ist der Denkmalschutz doch entstanden: als Bürgerbewegung. Der Staat ist mit dieser Rolle inzwischen überfordert - materiell, geistig, politisch, kulturell. Wir haben in Berlin 8000 Denkmaleinträge, dreimal mehr als in Hamburg, obwohl Berlin ja arm ist an historischen Bauten. Damit ist eine Grenze erreicht. Jetzt auch noch Hundertschaften von Bauten der Moderne hinzuzunehmen, wäre finanziell und personell nicht mehr zu bewältigen. Der Denkmalschutz muss seine Kräfte konzentrieren in einer Zeit, in der die öffentlichen Mittel dafür immer geringer werden. Meine Mitarbeiter sind schon jetzt vor allem damit beschäftigt, Bauherren dafür zu gewinnen, für Denkmäler privates Geld auszugeben - mit großem Erfolg übrigens. Denken Sie an die neue Berliner "Stiftung Denkmalschutz". Wenn man sich der Debatte um die Grenzen des Denkmalschutzes verweigert - und das ist ja vielfach die Reaktion in der Zunft - wird man das Gegenteil dessen erreichen, was man will. DIE WELT 30. Juli 03 http://www.welt.de/daten/2000/07/22/0722me181215.htx |
marco!
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Gesendet: 13:42 - 30.07.2003 the wind of change |
Ernst
Mitglied Beiträge: 134
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Gesendet: 13:44 - 30.07.2003 Hut ab vor Stimmann! Besser kann man es nicht ausdrücken. [Link zum eingefügten Bild] |
Ernst
Mitglied Beiträge: 134
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Gesendet: 13:48 - 30.07.2003 Vor allem diese Passage! Endlich traut sich einmal jemand zu sagen: "Der Kaiser ist nackt". "DIE WELT: Es gibt bis heute Stimmen, die in den offenen Räumen des Städtebaus der Moderne Qualitäten erkennen. Stimmann: Das sagen doch nur Architekturkritiker und Feuilletonisten, aus einem ideologischen Blickwinkel. Beispiele dafür gibt es - beispielsweise das Hansa-Viertel. Aber sie sind die Ausnahme. Die Verteidiger dieser Strukturen kann ich - außer wenn sie Bewohner sind - nicht ernst nehmen. Wenn die Architekturkritiker in der Gropiusstadt oder auf der Fischerinsel wohnen müssten, würden sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Da ist viel Zynismus im Spiel, intellektuelle Überheblichkeit von Leuten, die schon immer genau wussten, was zum Beispiel gut ist für die Arbeiter. Die Abstimmung über viele Wohnsiedlungen und Bürogebäude der Nachkriegsmoderne findet übrigens mit den Füßen statt und nicht in den Feuilletons." |
Claus
Mitglied Beiträge: 164
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Gesendet: 14:31 - 30.07.2003 Schade nur,das Berlin nach seiner Aussage mit der Abrisstradition gebrochen hat.Nachdem nun die schönsten Viertel weg sind und man eigentlich nur noch Betonviertel hat. Jetzt müsste es mit Abreissen erst richtig losgehen. Aber die Entmachtung der Denkmalschutzdogmatiker ist ein erster wichtiger Schritt!!! |
Dirk1975
Moderator Beiträge: 435
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Gesendet: 16:46 - 30.07.2003 "...die Opernbebauung in West-Berlin oder die Rathausstraße in Mitte. Niemand fordert den Abriss solcher Gebäude." Also ich schon [Link zum eingefügten Bild] Deutsche Oper Bildquelle:http://www.andreas-praefcke.de |
marco!
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Gesendet: 18:02 - 30.07.2003 leider gibt es genug modernisten-ex68er-altlasten im bundesdeutschen pseudo akademisch-feuilletonistischen buerokraten apparat, welcher vehement bereit ist jegliche sozialistische pantoffelsophismus-errungenschaft mit 'putzeimer und besetzer streikaktion' zu verteidigen sh: http://www.nachkriegsmoderne.de/gesamt/gesamt.htm oder http://morgenpost.berlin1.de/archiv2003/030613/bezirke/story609996.html den ernst reuter platz koennte man ja als ensemble der 50-60-70er erhalten, leider gibt es diese ensembles ueberall. und zweitens ist die qualitaet dieser modernistischen architektur das schlechteste, was die welt seit dem erstehen menschlicher baukunst gesehen hat. also trotzdem: weg mit dem pappe gewordenen duenngeist!! |
Dirk1975
Moderator Beiträge: 435
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Gesendet: 19:57 - 30.07.2003 Wenn nicht nur soviel geredet sondern auch mal danach gehandelt werden würde. Herr Kraemer, Herr Kollhoff, Herr Stimmann.... die Worte hör ich wohl, aber wo bleibt die Beherzigung im Alltag des Bauens (und der Denkmalpflege)? Das Problem liegt in der Hauptsache an der akademischen Lehre, die sich diesen Stimmen nach einer reformierten Baukultur nicht stellt. Wieso gibt es eigentlich keine einzige Schule ähnlich der in Viseu, in einem Land mit 80 Mio. Einwohnern ? |
Ben
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Gesendet: 20:38 - 30.07.2003 Klingt ja vielversprechend! |
trance-x
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Gesendet: 15:38 - 08.08.2003 statt staendig und ideologisch schematamaessig nach abriss zu rufen, wuerde ich mal einen etwas praktischeren ansatz forcieren. beispielsweise waere ein trend, ganz einfach bestehende gebaeude durch kleine anbauten (tuermchen, balustraden, saeulen, pilaster etc.) und ornamentik zu verschoenern sinnvoll. ein losgetretener trend, eine art dynamik wuerde weit mehr bringen als schwarzweises modernisten kontra historisten. ein konstruktiver und praxisnaher ansatz waere es zudem, gerade in heutigen zeiten, mal zu eruieren, welche moeglichkeiten es gibt, derlei geschichten preiswerter herzustellen. |
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied Beiträge: 422
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Gesendet: 16:53 - 08.08.2003 Man hat dies im Berliner Osten bereits getan. Platte wurde mit Kleinstadtmotiven dekorativ aufgewertet und die Anwohner waren in der Mehrheit begeistert. Bischoff heißt der inzwischen berühmte Mann. Vielleicht hat jemand ein paar Bilder dazu? Ich hatte mal ein paar Presse-Fotos dazu gesehen - die olle Platte war nicht wieder zu erkennen. Die Kommune war anfänglich dagegen, heute sind neue Anträge für eine Neugestaltung der Platte mit Bischoffs Motiven (kleine Dachgesimse - Buzenscheiben - Kater auf dem Dach) keine Schwierigkeit mehr. Die Idee findet inzwischen weltweit Nachahmer. Türmchen, Säulenportale und Gesimse an Plattenbauten in Russland hat man auch schon versucht. Und die Herren "Moderne" Architekten biegen sich vor Lachen... |
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