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Autor Mitteilung
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


Gesendet: 15:31 - 22.06.2003

Ich würde gern wissen was eure meinung zum offiziellen deutschen Denkmalschutz ist. Ich habe schon öfter die Absicht gehabt, diesen Begriff aus dem Titel zu nehmen, weil die Auffassungen der Denkmalschutzbehörden teilweise völlig im Gegensatz zu dem stehen, wofür wir uns einsetzen. Für den umfangreichen Schutz der sog. "Nachkriegsmoderne" kann ich persönlich mich jedenfalls nicht einsetzen, auch wenn sie Dokumente ihrer Zeit sind und ein Teil davon deshalb sicher erhaltenswert sein mag.
Weiterhin finde ich es sehr bedauerlich, daß von Seiten des Denkmalschutzes Rekonstruktionen größtenteils abgelehnt, ja verhindert werden, während man bei der Beschädigung einer denkmalgeschützten Architektur mit irgendwelchen fragwürdigen modernistischen Anbauten oft vergeblich auf wirksamen Einspruch oder Protest von Seiten der Denkmalschutzbehörden wartet. Ich persönlich finde das ärgerlich, und es steht im Widerspruch zu unseren Interessen. Nicht daß der Denkmalschutz keine berechtigte und insgesamt unterstützenswerte Einrichtung wäre, das ist unbestritten. Aber er vertritt gegenwärtig einige Positionen, die oft genug eher zum Schaden historischer Architektur und eines zu bewahrenden Stadtbilds gereichen als zu deren Nutzen. Wie seht ihr das?
Paul
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 16:31 - 22.06.2003

Das Thema hat zwei Seiten, wie vieles im Leben; auf der einen Seite sind wir froh, daß es den DSchutz gibt, weil er viele Abbrüche und Verunstaltungen seit den 70ger Jahren verhindert hat, auf der anderen Seite ist er oft grausig dogmatisch.
Zwei Beispiele:
in Alfeld an der Leine steht das bahnbrechende "Fagus-Werk" von Walter Gropius, in der 3. Generation im Familienbesitz. Der Inhaber hat mir vor einigen Jahren erzählt, daß zur Entstehung nur Einfachverglaste Fenster eingebaut wurden, nach heutigem Standard eine Zumutung für die Mitarbeiter, im Sommer Backofen, im Winter Kühlschrank. Denkmalschutz sagt: Doppelverglasung kommt nicht in Frage! Der Eigentümer hatte sowas kommen sehen und entgegnete:
Ja meine Herren, ich habe heimlich einige Fenster mit Doppelverglasung ausgestattet. Wenn Sie die herausfinden, dann baue ich diese zurück. Ansonsten...
Er durfte anschließend alle Fenster umrüsten!
Heute haben wir in Halle die schönste Villa der Stadt besucht, ein traumhaftes Art-Deco Gebäude in überragender Lage an der Saale gegenüber den Porphyrfelsen. Anfang der 90ger Jahre sah sie so aus, wie alles in der DDR...
Der Eigentümer hat mir von seinen Kämpfen mit dem Denkmalschutz erzählt, so führt eine Abfahrt von der Grundstücksgrenze zu den Garagen hinunter. Der DSchutz bestand auf Flügeltüren für die Garage. Der Eigentümer wies darauf hin, daß dann das Gefälle verändert werden müßte, wegen der heutigen geringeren Bodenfreiheit der Autos, als in den 20ger Jahren. langes Hin- und Her, es wurden ihm dann doch die Kipptüren genehmigt.
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 00:51 - 23.06.2003

Da kann ich auch was liefern:

[Link zum eingefügten Bild]

[Link zum eingefügten Bild]

Vom Denkmalschutz wurde es den Altstadtfreuden untersagt, an das linke Haus im unteren Bild einen Dacherker anzubringen, um das ganze Ensemble wenigstens ein bisschen dem Zustand vor 1945 wiederanzugleichen.

Wurde vom Denkmalschutz damals abgelehnt, weil die Häuserreihe ein typisches Beispiel für 50er Jahre Baustil sein soll. (genauen Wortlaut habe ich jetzt nicht parat)

Abgefahrene Begründung, oder?

Der Pellerhaus-Mischmasch steht übrigens auch unter Denkmalschutz....

[Link zum eingefügten Bild]


Naja, in diesen Fällen kann man fast froh sein, dass es in der Regel nicht viel bedeutet, ob etwas unter Denkmalschutz steht, oder nicht...

Aber kann mir mal jemand die Gedankengänge mancher Denkmalschützer erklären?


Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 22:12 - 23.06.2003

wer das jetzige pellerhaus unter denkmalschutz stellt, der hat nicht verstanden, wofür letzterer gut sein soll.
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 22:41 - 23.06.2003

@Jürgen

Steht denn wirklich beim Pellerhaus das jetzige dissonante Mischmasch unter Schutz, oder sind es nur die wertvollen erhaltenen Renaissance-Baureste?
Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 14:20 - 24.06.2003

@mathias
habe soeben in der Mittagspause die Denkmalliste Nürnberg eingesehen und Deine Nachfrage überprüft:

Konnte Deine Vermutung glücklicherweise bestätigen, denn dort heißt es:

„Egidienplatz 23: Ehem. Pellerhaus, heute Stadtarchiv und Stadtbibliothek, erhalten Erdgeschoßreihe mit Sterngewölbe, Treppenturm und ein Teil der Hofarchitektur des 1602 – 07 von Jakob Wolff d.Ä. errichteten Spätrenaissancebaus; im Hof: Apollobrunnen, Bronzestatue des Apollo, 1532 von Hans Vischer nach Entwurf von Peter Flötner.“


Von dem 50er Jahre Nonsens ist nichts erwähnt - manchmal gibts auch was positives zu vermelden...

Grüße
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 19:43 - 24.06.2003

@Jürgen

Ein Glück! Danke für deine Mühe.
Das lässt hoffen für eine Rekonstruktion dieses Architekturjuwels.

Schöne Grüße, Mathias
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 22:55 - 24.06.2003

Doch, ich kann die Denkweise der Denkmalpfleger schon verstehen. Es ist eine gewisse Logik drin - bis auf einen einzigen Punkt, den sie übersehen. Und dieser Punkt führt alles ins Absurde , aber sie merken es nicht - es ist wie bei dem berühmten falsch zugeknöpften Mantel. kennt ihr das? man kuckt in die luft, denkt an weihnachten oder an sonstwas, knöpft seinen Mantel zu und beim letzten knopf denkt man: verdammt! alles noch mal machen, knopfleiste und lochleiste sind genau um eins verschoben. wenn der allererste knopf falsch ist, werden alle folgenden falsch - selsbt wenn es tausende wären.

und so einen verschobenen knopf habem die herren denkmalpfleger in ihrem hirn. Sie sagen, das nürnberg von damals war schützenswert, aber es gibt es nicht mehr. die objekte, die es heute noch gibt, schützen wir. aber nicht mehr die, die es nicht mehr gibt. wir würden ja auch die bauten auf dem 1. foto schützen, aber
die sind ja nicht mehr da. heute gibt es halt die 50er jahre-bauten etc, also schützen wir die. unsere epoche ist nicht mehr oder nicht weniger wert, als die früheren.

bis hierher ist da eine gewisse, logik, die ich nachvollziehen kann.
sie übersehen allerdings eines, und hier ist der knopf:

jede epoche, egal welche, renaissance, rokoko, barock, knüpfte in irgendeiner weise an die vorherige an, und war teil eines ganzen, führte in gewisser weise das erbe fort: es ist continuität. das ist heute anders.

denn seit ca. 1919 gibt es einen radikalen bruch, man wollte in der architektur bewusst mit allem schluss machen, was vorher da war. alles vor ca. 1919 , jede einzelnen epoche,war teil eines ganzen: nämlich einer baukultur von mehreren jahrtausenden, von den römern und griechen durchs mittelalter hindurch, die entdeckung amerikas, j.s. bach, französische revolution, napoleon, habsburger und hohenzollern monarchie bis hin zum 1. weltkrieg und zur ersten deutschen republik. was das für ein enormer zeitraum ist, und was er alles beinhaltet, muss man sich mal vergegenwärtigen. wie soll das heutige mit dem vergangenen gleichwertig sein, wenn es ich ihm verweigert? die ideen waren zwar damals verständlich, aber das problem ist: indem man völlig neu beginngen wollte, musste man so tun, als ob es vorher nichts gegeben hatte: architektur und menschheit begannen 1919. aber das geht eben meiner ansicht nach auf dauer nicht gut. meiner ansicht nach ist das ähnlocih wie die ideen der frühen DDR: die glaubten doch tatsächlich damals, man sprengt das schloss in berlin, die paläste und kirchen in dresden, und
könnte alles hinter sich lassen.
die DDR war ja auch der meinung, sie habe mit der deutschen geschichte nichts zu tun, und müsse keine verantwortung tragen - keiner der 17 millionen Deutschen in der DDR war ein Nazi, alles gute Sozialisten. dass dieser völlige neuanfang eine illusion ist, sieht man ja am "sozialistischen" Menschen, und dass sich ulbricht und grotewohl mit "geschichtsentsorgung durch sprengung" radikal geirrt haben, ist grade am beispiel berliner schloss schon seit jahren offensichtlich.

jetzt bin ich abgeschweift (abgeschwiffen?) , weiss nicht ob ichs in worte fassen konnte - aber die früheren epochen und die heutige sind einfach nicht gleichwertig. der eine grund ist eben der, dass eine epoche, die sich weigert, geschichte anzuerkennen, auch schlecht für sich selbst beanspruchen kann, selber geschichte zu sein. es ist ein typisch europäisches denken, aber im negativen sinne: geburt, leben, tod. aus. das ist lineares denken, als ob alles einen unwiderruflichen endpunkt hätte. aussereuropäische kulturen haben meist eine andere sichtweise:
sie sehen es zyklisch. ein fluss, der nicht aufhört. und genau so ist geschichte auch: sie kommt an keinen endpunkt, sie geht immer weiter. der endpunkt, den die moderne setzen wollte, ist ein künstlicher - es gibt keinen absoluten endpunkt in der geschichte und in der kultur
(ausser wenn man SAT1 anschaltet).

ein zweiter Punkt neben dem irrtum,alles neu beginnen zu können, ist die tatsache, dass früher regiontpyisch gebaut wurde. seit der moderne ist es globalisiert, austauschbar.

und ein dritter punkt: was, wenn epochen nicht gleichwertig wären? ich habe nämlich den verdacht, den eine gesangslehrerin von mir einmal hatte: ich sagte einmal zu ihr, man darf es nicht laut sagen, aber mir kommt es manchmal so vor, als hätten wir den höhepunkt unserer kultur schon hinter uns; ich dachte dabei so an 18./ 19. Jahrhundert. ich dachte, gleich erschlägt sie mich - doch sie sagte ganz trocken "das glaube ich schon lange". grade im 18. Jahrhundert: Bach schreibt jede Woche eine komplette Messe, das Königreich Preussen entsteht, Beethoven wird geboren, und am Ende des Jahrhunderts, nach unzähligen Frauenaffairen, heiratet Goethe endlich - er hätte Adlige haben können ohne Ende, aber ehelicht eine junge Arbeiterin einer Papierblumenfabrik.

Ja, damals , da war noch wat los!

OK, zum Thema: die Epochen sind nicht gleichwertig. Über den dritten Punkt kann man streiten - dass es, wie in einer mathematischen Funktion Wendepunkt, Maxima etc gibt. Aber die ersten beiden Punkte - die illusion eines neubeginn durch einen künstlichen bruch , und das abschaffen regiontypischer Architektur - sind unstrittig: es sind Fakten.

Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 23:05 - 24.06.2003

@peter
"...jetzt bin ich abgeschweift..."

Genialer Text, Peter, so kannst Du ruhig öfter "abschweifen". Kann jedem Satz zustimmen.
PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 23:08 - 24.06.2003

Nachtrag:

und das Implantieren "zeitgenössischer" Elemente (also Stahl, Glas Beton) in historische Architektur begründen die Denkmalpfleger ja damit: "früher hat man auch ein sChloss ständig verändert, in der Renaissence erweiterte es man mit Renaissance elementen, im barock mit barock,etc. "

schöne beispiele sind das dresdner und vor allem das schweriner sschloss.
ja, aber die herren übersehen eben hier genau so: am schweriner schloss passt es eben, trotz verschiedener stilformen, doch zusammen: weil jede epoche auf der vorherigen aufbaute, und sich als fortführung, als Teil einer Kontinuität verstand, gar keine radikalen bruch WILL. Und so ist es doch kein Wunder, dass eine "Verschönerung" im Baushaus-Glaskacke-Stil an einem schloss destruktiv wirken muss -denn, wie will man ein objekt sinnvoll ergänzen, das aus einer Zeit stammt, die man leugnet, ablehnt, nicht anerkennt? liegt doch auf der hand, dass unter diesen vorraussetzungen nischt jescheites bei rauskommen KANN.

Beispiel Kollhoff: er ist doch der Gegenbeweis. seht euch doch mal seinen museumsinselentwurf an - es passt absolut gut ins ensemble, es tut nicht weh, sondern ist absolut angenehm - fast möchte man meinen, aus der ferne, es hätte immer zur Museumsinsel gehört.

auf jeden fall machen die denkmalpfleger den selben fehler eben auch hier: früher hat man auch im stil der zeit ergänzt, also gilt das heute auch. welch fataler fehler!
man bräuchte das ja eignetlich gar nicht so pseudo-wisseschaftlich abhandeln wie ich das tue, und so viele worte machen - bereis ein kind sieht doch, dass bei diesen zeitgenössischen implantierungen etwas faul ist - und zwar mächtig!

war es nicht paule's tochter, die beim anblick der neuen synagoge in DD sagte: "kuck mal, das ist doch BÄ !"



PeterBerlin
Bronzenes Premium-Mitglied

Beiträge: 584


 

Gesendet: 23:14 - 24.06.2003

noch was
@jürgen

dieses erste foto , das ist nürnberg, oder ? sieht natürlich unvergleichlich schöner aus als das erste. aber, man könnte was machen aus nürnberg. immerhin ist die kleinteiligkeit ja schon mal da...


@paule

weil du doch jedichte so jut finden tust:

es gibt einen kleinen vierzeiler von goethe, der ist fast so banal, das man mein, er wäre aus einer illustrierten, oder von einem zierteller von woolwort ("trautes heim, glück allein")

er machte ihn über seine frau, die arbeiterin, mit der er schließlkich lange zeit das glück fand:christiane vulpius. es ist tatsächlich für goethes verhältnisse von erstaunlicher einfachheit, fast wie ein kinderreim. aber wenn ich es auf mich wirken lasse, find ich es trotzdem - oder vielleicht grade deswegen? - genial.


"Hab oft ein' dunklen, düstern Sinn

ein gar schweres Blut

wenn ich bei meiner Christel bin

ist alles wieder gut."

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