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 Forum Index —› Architektur allgemein —› Wiederaufbau "Alte Waage" in Braunschweig
 


Autor Mitteilung
Anonymous


Gesendet: 19:10 - 24.03.2003

Es handelt sich um die "Alte Waage" in Braunschweig.

Hinweis: der Text stammt nicht von mir!




Die Alte Waage bis 1944

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1534 ließen Kaufleute am Wollmarkt in der Neustadt die Alte Waage als Wiege- und Speicherhaus errichten. Sie war das größte Fachwerkhaus Braunschweigs und - zusammen mit dem Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim sicher das schönste in Niedersachsen.

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Die Waage war, genauso wie die Türme der Andreaskirche, ein Affront gegen den Landesherrn - man wollte zeigen, daß Handel und Wandel und vor allem die Ansammlung von Reichtum auch ohne ihn funktionierten.

Als der Herzog 1671 die Stadt zurückeroberte und wieder an die Macht kam, zahlte er es den Bürgern heim - praktisch schräg gegenüber der Alten Waage ließ er den Packhof errichten, wo nun die Wiege- und Zollgeschäfte abgewickelt wurden - die Alte Waage verkam zur bedeutungslosen Dependance.

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Auf diesem um 1836 gemalten Gemälde von C.Weiss sind jedoch noch brummende Geschäfte vor der Alten Waage dargestellt. Das Gebäude war zunächst Getreidelager für das Militär gewesen, dann Wollelager. An dem Haus rechts ist ein Aufzug zu erkennen, mit dessen Hilfe die Dachböden beladen wurden.

1836 war übrigens überhaupt eine der letzten Gelegenheiten, solch ein Bild zu malen - 1838 wurde die Braunschweiger Staatseisenbahn eröffnet und damit ging die Zeit der Frachtwagen und innerstädtischen Lagerhäuser langsam zuende.

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[imghttp://www.fortunecity.com/victorian/statue/1287/laender/Nieders/Braunschw/wollm/awvk3.jpg][/img]



1855 begann Friedrich Maria Krahe - ein Sohn des großen Peter Joseph Krahe - mit einer intensiven Restaurierung der Alten Waage. Die kleinen Türmchen auf dem Dach sind seine Zutat, ebenso der zweite Erker. Auch die Durchfahrt scheint erst von Krahe an den äußersten Rand des Gebäudes verschoben worden zu sein.

Trotzdem bewahrte das Gebäude seine alte Form als Lagerhaus.

In den beiden Dachgauben befanden sich die Aufzüge, mit deren Hilfe die Waren durch die Luken auf die Lagerböden gezogen werden konnten. Die Lagerung auf Böden war durch die Enge der mittelalterlichen Städte erforderlich, in denen für ebenerdige Lager einfach kein Platz war. Außerdem waren die Böden einigermaßen sicher gegen Ungeziefer und Schädlinge, aber auch gegen Diebstahl. Hier ließen sich die gelagerten Waren außerdem besser belüften - an den Fenstern in den Obergeschossen sind noch die Holzgitter zu erkennen, durch die Luft über die Böden zirkulieren konnte.

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Die Bleistiftzeichnung, die G. Zeidler 1905 anfertigte, zeigt eine weitere Eigentümlichkeit der Alten Waage - die Durchfahrt. Weil das Gebäude frei auf dem Platz stand (normalerweise sind die Fachwerkhäuser in Braunschweig traufenständig), konnten die Wagen zur einen Seite hineinfahren, dann wurde gewogen, verzollt und versteuert, und der Wagen konnte das Gebäude wieder verlassen, ohne rückwärts fahren zu müssen, was mit Pferden bekanntlich nicht einfach ist.

Genutzt wurde die Alte Waage zu Zeidlers Zeiten allerdings kaum noch.

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Eine seltene Farbaufnahme der Alten Waage vor dem 2. Weltkrieg. Bei einer Restaurierung wurden damals die Zutaten Krahes wieder entfernt. Nutzer des Gebäudes war jetzt die Hitlerjugend, die hier ihr "Heim" hatte.

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Bei dem Luftangriff vom 10. Februar 1944 wurde das Dach der Alten Waage von einer Luftmine buchstäblich zerfetzt.

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In der Bombennacht vom 14. zum 15. Oktober 1944 verbrannten dann die Reste zusammen mit großen Teilen der Neustadt endgültig.




Die Alte Waage - Der Wiederaufbau


Fast 50 Jahre lang blieb der Platz leer - dann hatten wir in Braunschweig in den 80er Jahren einen Stadtbaurat Dr. Konrad Wiese, der seinen Ehrgeiz darein setzte, sich mit dem Wiederaufbau der Alten Waage ein bleibendes Denkmal zu setzen.

Im Jahr seiner Verabschiedung gelang ihm das auch: Nach langem Hin und Her wurde das Haus 1991-94 detailgetreu wiederaufgebaut.

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Die Wiedererichtung der Alten Waage war in Braunschweig nicht unumstritten - die einen sprachen von Disneyland, die anderen begrüßten die Wiederherstellung eines einmaligen Kulturdenkmals. Auch die Anwohner waren nicht unbedingt glücklich über den Neubau. Der ehemals freie Platz wurde verstellt, es gab weniger Parkfläche, das hohe Gebäude verdunkelte die Wohnungen.

Wie dem nun auch sein mag - die Bauhandwerker, besonders die Zimmerleute, haben ganze Arbeit geleistet! Es ist wirklich in alten Techniken gebaut worden - obwohl funkelnagelniegelneu, ist die neue Alte Waage mit der alten nahezu identisch. Grundlage des Wiederaufbaus war der Zustand des Gebäudes nach der Renovierung durch Krahe, allerdings ohne die Dachtürmchen und mit unverputztem Erdgeschoß.

Inzwischen sind die Diskussionen verstummt. Und man muß sagen - es ist auch wirklich kein Disneyland geworden. Denn der Neubau ist nicht - wie in vielen Fällen - nur Fassade, sondern er entspricht in seiner gesamten Konstruktion, auch im Inneren, in nahezu allem den Original.

Daß wir wirklich wieder ein spätmittelalterliches Haus vor uns sehen und seine Errichtung beobachten konnten und nicht nur Bilder davon, gibt zu allerlei Gedanken Anlaß. Einer der Architekten des Wiederaufbaus, Justus Herrenberger, hat einige davon in der Braunschweiger Zeitung geäußert:

"Sehr groß ist die Hochachtung vor der geistigen Leistung des unbekannten Zimmermeisters und dem handwerklichen Geschick der Zimmerleute. 12.000 Einzelhölzer mußten zugerichtet werden. Vorher mußte das Holz geschlagen werden, der Zimmermeister suchte geeignete Eichen im städtischen Forst Kampstüh und im Lehrer Wald heraus für die scharfkantigen Stiele, Unterzüge, fast eine Tonne wiegenden Deckenbalken. Die Stämme wurden auf den Zimmerplatz geschafft, dort mit dem Beil nach der Schnur rechtwinklig auf den passenden Querschnitt geschlagen und abgelängt.

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Vom Baum zum Haus - Fällen von Bäumen und Arbeiten auf dem Zimmerplatz

Nun mußten mehrere teils sehr komplizierte Holzverbindungen hergestellt, 2000 Löcher für die Holznägel von Hand hineingebohrt werden. Die Zimmerleute setzten die Hölzer vorerst zusammen, kennzeichneten sie, da jedes Holz nur an der Stelle, für die es angebunden ist, am Bau gerichtet werden kann.

Dann begannen sie mit dem Schnitzwerk. Schließlich richteten die Handwerker sie auf den vorbereiteten Fundamenten.

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Heute brauchen wir zur Rekonstruktion zwei Professoren, Doktoren, Baudirektoren, Diplomingenieure, Verwaltungsfachleute, Techniker, Kalkulatoren, drei Zimmermeister, Poliere und Handwerker. Dazu haben wir alle technischen Hilfsmittel: LKW, Gabelstapler, Baukran, Sägewerk, Elektro-Sägen, -Fräsen, -Bohrer, Fototechnik, Telefon, Telefax, Lichtpausen, Schreibcomputer und vieles mehr.

Was hatten sie früher? Einen genialen Meister, der alles im Kopf hatte, der jedem sagte, was er zu tun habe. Ochsen- und Pferdegespanne, Äxte, Beile, Schrotsägen, Stecheisen und Klöppel, Löffelbohrer, Flaschenzüge und Tretkräne. Nur Hand- und Muskelarbeit.

Bauzeit damals: zwei bis drei Jahre. Bauzeit heute: zwei bis drei Jahre."

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Richtfest an der neuen Alten Waage 1992
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Selbst wenn unsere alltäglichen Überlegungen nicht so ins Detail und in die Tiefe gehen, so kann doch eigentlich niemand umhin, die klare Struktur des Fachwerkbaus zu bewundern.

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Auf den Schwellen, d.h. waagerecht liegenden Hölzern, wurden die Ständer errichtet, die durch die Fußbänder und die Rähme senkrecht gehalten wurden.

Auf die Ständer kamen die Balken zu liegen, die von Geschoß zu Geschoß weiter vorkragen, um auf der engen Grundfläche mehr Raum zu gewinnen. Auf die Balkenenden wurden die Schwellen des nächsten Geschosses aufgelegt, deren Last fingen die Knaggen ab. Auf dieser Schwelle stehen jetzt neue Ständer usw.

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Weil wir die Alte Waage von allen Seiten betrachten können, läßt sich hier besonders gut erkennen, nach welchem Prinzip dieses und praktisch alle mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fachwerk-Häuser gebaut sind.

Für den Schmuck aus Schnitzwerk waren bei einfacheren Mustern die Zimmerleute zuständig, für besondere, vor allem figürliche Darstellungen wurden eigene Schnitzer oder Bildhauer engagiert.

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Bei der Alten Waage wurden - neben sparsamer Verzierung von Balken und Knaggen nur die Schwellen aufwendiger gestaltet.

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Die Schwelle des Dachgeschosses ziert ein Kettenfries (oben), die Schwelle des zweiten Stockes ein Laubstab (unten).

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Auf der Schwelle des ersten Stocks hingegen - in Sichtweite des Publikums - ist ein Schriftband angebracht, dessen Enden von Meerjungfrauen und Seeungeheuern geschmückt ist.

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Das geschah nicht von ungefähr und war ein Hinweis auf die Handelsverbindungen der Neustadt, die einen Hafen besaß. Von der Oker gelangte man damals zu Schiff über Aller und Weser zum Meer!

Hübsch sind auch die mit Ziegeln ausgemauerten Fächer, von denen keines dem anderen gleicht - eine Erscheinung, die man eher an norddeutschen Bauernhäusern findet. Auf jeden Fall werden die Maurer stolz darauf gewesen sein!


Quelle:www.fortunecity.com/victorian/statu...ollm/wollm4.htm

In der "Alten Waage" ist heute die Volkshochschule untergebracht.

Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 00:09 - 25.03.2003

Einfach herrlich diese alten Mauern.
Vor Jahren bin ich mal in Braunschweig
gewesen und ich kann mich noch an
so manche schönen Häuser erinnern.
Wenn ich mich recht erinnere war
Braunschweig im Mittelalter eine
der größten Städte im Deutschen Reich.
Und hat somit eine Menge schöner
Bauwerke gehabt.

Leider ist vieles im Krieg zerstört
worden.Auch hier muss wieder
rekonstruiert werden !
Unsere Städte müssen wieder ihr
Mittelalterliches Gesicht erhalten !

will
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 22:58 - 25.03.2003

@Anonynous
Die Bilder sind phantastisch. Habe vor der Alten Waage gestanden und konnte es nicht fassen. Solche Denkmäler lobe ich mir, die meisten Herren hinterlassen uns Glas- und Betonkästen, siehe nur den Neubau des Museums für bildende Künste in Leipzig.
Ich greife mal den Begriff "Disneyland" heraus. Das ist für gnadenlosen Modernisten ein Kampfbegriff, so wie jeder Heimatverbundene Gefahr läuft, als "Rechtsextremist" oder Ärgeres etikettiert zu werden. Der Kampf beginnt mit Begriffsprägung und man läßt sich oft genug drauf ein. Dabei ist ein Disneyland doch anscheinend etwas, wo NICHT Bauwerke an ihrem angestammten Platz original wieder errichtet werden, sondern wo verkitschte Imitate wahllos nebeneinander stehen, das Tadsch Mahal neben Neuschwanstein. Warum lassen wir uns so etwas überhaupt gefallen?
will
registriert

Beiträge:


 

Gesendet: 23:03 - 25.03.2003

Lieber Webmaster, antwort doch einmal.
Zum Beispiel ist es auf anderen Foren möglich, daß ich meine eigenen Beiträge editieren kann, so sind mir hier Rechtschreibfehler unterlaufen, die ich eigentlich gern abgeändert hätte...:
stanollie@tiscali.de
Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 11:36 - 26.03.2003

ich bin zwar nur moderator, antworte aber trotzdem.

die edit-funktion funktioniert bisher nur für moderatoren. leider!
den programm-code für das forum entwickelt internetboom und stellt ihn kostenlos zur verfügung. dafür gibt's dann eben nicht alle funktionen sofort.

ich bin aber sicher, dass die edit funktion irgendwann so ausgeweitet wird, dass jeder seine eigenen beiträge editieren kann.
nur wann das sein wird... keine ahnung - ich hoffe aber, bald!

zur alten waage:
das ist wirklich ein grund zur freude. zwar sehr langsam, aber doch stetig kann man immer wieder mal ein reko-projekt durchsetzen.
das zeigt, dass wir alles andere als alleine dastehen und sich einsatz manchmal auszahlen kann.
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 16:44 - 26.03.2003

Die Alte Waage ist eine echte Augenweide. Dabei freut man sich über die harmonische Gesamtkonstruktion genauso wie über die vielen Details der Schnitzereien und Ziegelmuster. Den Braunschweigern kann man zu dieser Leistung nur gratulieren!

Außerdem zeigt die Alte Waage, wie sehr bei einem wiederhergestellten Bauensemble auch die Nachbargebäude - hier die Andreaskirche - an Wirkung gewinnen. Alte Bauwerke waren eben, anders als die Solitäre der Moderne, fast immer Elemente eines gewachsenen Ensembles, dessen einzelne Teile aufeinander bezugnahmen.
Booni
Mitglied

Beiträge: 190


 

Gesendet: 19:06 - 24.08.2004

Schade, dass man die Türmchen nicht wiederhergestellt hat. Waren zwar weder Vorkriegs-, noch Originalzustand aber schön anzusehen waren sie trotzdem.

Außerdem sieht es so aus, als wurde ein andersfarbiger Ziegelstein verwendet.

BTW: Wie sieht eigentlich das Umfeld der Alten Waage heute aus? Früher war das ja 'ne richtig romantische Ecke ;)
Schloßgespenst
Mitglied

Beiträge: 106


 

Gesendet: 11:24 - 27.08.2004

Ein tolles Werk! Gerade am letzten Bild sieht man, wie detailgetreu gearbeitet wurde - was natürlich nur geht, wenn das Original ausreichend dokumentiert ist.
Die Ostzeile (am Römerberg) in Frankfurt ist auch so genau bis zur kleinsten Balkenschnitzerei rekonstruiert worden, obwohl es natürlich von diesen mittelalterlichen Häusern keine Baupläne mehr gibt. Architekten, die sowas schaffen, sind wirklich zu bewundern!

@will:
Hast recht, der Begriff Disneyland ist wie auch Las Vegas für Deutschland schwachsinnig, weil hier ja eine exakte Kopie an genau die Stelle gebaut wird, an der das Original gestanden hatte. Die Amis bauen ja deshalb Eiffelturm, Rialto-Brücke, Rothenburg & Co im eigenen Land, damit die Leute nicht extra tausende km nach Europa reisen müssen, um das Bauwerk zu sehen, sondern es bei sich anschauen können (sieht ja genauso aus, hahaha).
Jetzt neu
Novize

Beiträge: 27


 

Gesendet: 13:55 - 27.08.2004

Schön, aber nach Braunschweig verirrt sich niemand. Man müsste schon etwas Werbung machen, damit man jemand in diese tiefste aller Provinzen abseits aller Hauptverkehrsadern jagen kann. So nach dem Motto "Freizeitpark Alt-Braunschweig". Oder, um gleich mit einem bekannten Label zu kommen: "Disneyland". Mit Disney ließe sich sicher reden. Braunschweig braucht einen zugkräftigen Namen!
Oliver
Senior-Mitglied

Beiträge: 491


 

Gesendet: 14:03 - 27.08.2004

JetztNeu,
die Touristen kommen auch nicht, wenn
man die komplette Stadt mit Glaskästen
zustellt !
Und außerdem. Schau mal auf dieses
Foto ! Die Menschen wollen so etwas !

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